Keine Erneuerbaren in NRW?
Eberhard
Waffenschmidt, 19.7.2017
Der Wahlkampf in NRW ist beendet, ein neuer Ministerpräsident und
eine neue Landesregierung sind gewählt. Dabei stand das Thema Energiepolitik
in der Bedeutung des Wahlkampfs ganz weit hinten an. Mit großer Spannung
haben wir alle, die sich für die Energiewende auch im Land NRW einsetzen,
auf die Ausführungen in Ihrem Koalitionsvertrag gewartet.
Die Ergebnisse erscheinen mir jedoch wie eine 180°-Energiewende rückwärts.
So heißt es: "Dazu halten wir an einem breiten Energiemix fest.
Fossile Strom- und Wärmeerzeugung auf Basis von Braunkohle, Steinkohle
und Erdgas wird als Brückentechnologie noch auf absehbare Zeit unverzichtbar
sein." Der Windenergieausbau soll mit einer übertriebenen Abstandsregelung
praktisch abgeschafft werden: „Wir gehen davon aus, dass bei Neuanlagen eine
Abstandsregelung von 1.500 Meter zu reinen und allgemeinen Wohngebieten rechtssicher
umsetzbar ist.“
Zu mehreren Kollegen haben wir daher einen offenen Brief an die Landesregierung
geschrieben:
> Download PDF Dokument des offenen Briefs (0.8 MB)
Offener Brief zur Energiepolitik der neuen Landesregierung von NRW
Köln, den 19. Juli 2017
Die Unterzeichnenden sind engagierte Bürger des Landes NRW und Professorinnen
und Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eines
energiewissenschaftlichen Instituts einer NRW-Hochschule. Der Brief drückt
ausschließlich die Meinung der Unterzeichnenden aus und nicht diejenige
der Hochschulleitung.
Sehr geehrter Herr Laschet, sehr geehrter Herr Lindner, sehr geehrter Herr
Pinkwart,
wir gratulieren Ihnen zu Ihrem Wahlsieg und wünschen Ihnen, dass Sie
die gewonnene politische Macht zum Wohle unseres Landes einsetzen werden.
Das Thema Energiepolitik stand in der Bedeutung des Wahlkampfs ganz weit hinten an. Von daher sollten Sie Ihren Wahlerfolg nicht als Zustimmung zu Ihrer Energiepolitik missdeuten. Mit großer Spannung haben wir alle, die sich für die Energiewende auch im Land NRW einsetzen, auf die Ausführungen in Ihrem Koalitionsvertrag gewartet.
Das Einzige, was Sie unter der Rubrik "Innovation, Wissenschaft und Forschung" zum Thema Energie aufführen, ist auf S. 27: "Kernsicherheitsforschung"? Haben wir in NRW nicht weit mehr Kompetenzen? Vor allem solche mit Zukunftsorientierung?
Wo wir Ihnen allen zustimmen können, sind Ihre einleitenden Worte zur Energiepolitik, S. 39: "Nordrhein-Westfalen hat die Schlüsselstellung im Energiesystem Deutschlands. Dies gilt sowohl fur die Energieversorgung als auch für den Energieverbrauch. Wir werden die Energie- und Klimapolitik danach ausrichten, Nordrhein-Westfalen als Energieland Nummer eins zu starken, um ein führendes Industrieland auch für energieintensive Industrien zu bleiben und Wertschöpfungsketten zu erhalten. Bezahlbare Energiepreise und Versorgungssicherheit werden zukünftig wieder gleichranging mit den Zielen des Klimaschutzes berücksichtigt."
Die Maßnahmen, die Sie im Folgenden ansprechen, deuten aber vielmehr darauf, dass Sie im Status Quo verharren, die Umsetzung der Energiewende und die daraus entstehende Innovationskraft anderen Bundesländern überlassen wollen und unser Land eben nicht als Energieland Nummer eins gestärkt wird. Im Bereich Energiewende waren wir das übrigens nie.
Was bedeutet das kleine Wörtchen "wieder" vor "gleichrangig"? War das jemals anders? Aber zwischen den Zeilen vermutet man hier schon, was Sie dann im Weiteren ausformulieren.
Sie wollen von NRW aus "einen energiepolitischen Neustart" (S.
40) einleiten!
Hierzu verwenden Sie auch alle modernen Schlagworte wie: Demand Side Management,
Energiespeicher, Power-to-X, virtuelle Kraftwerke und viele mehr.
Die Unterzeichner des in NRW ansässigen energiewissenschaftlichen Instituts freuen sich bereits jetzt über viele mit Ihnen gemeinsam durchzuführende Forschungs- und Pilotprojekte in diesen zukunftsweisenden Bereichen!
Sobald Sie konkret werden, zeigen Sie Ihre Absicht, Energiewende nicht zu gestalten, sondern zu beenden:
1. "Wir wollen die privilegierte Netzeinspeisung des Stroms aus erneuerbaren
Energieträgern für Neuanlagen beenden..." (S. 40)
Wir sind in Deutschland (in NRW deutlich weniger) gerade mal bei etwa einem
Drittel des Stroms angekommen, der aus erneuerbaren Energien stammt (andere
Energiesektoren sind hiervon noch weit entfernt). Was wollen Sie denn mit
Strom aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen machen, wenn nicht in Netze einspeisen?
Anlagen zur Stromerzeugung ohne variable Betriebskosten abschalten und dafür
Kohle und Gas verbrennen? Wie soll dieser Strommarkt denn funktionieren?
2. "...und die Preisbildung für jeden Anbieter wieder am Strommarkt
ermöglichen." (S. 40)
Sie suggerieren, es gäbe einen Strommarkt. Welchen meinen Sie denn? Vermutlich
den Strombörsenmechanismus? Aber nur ein geringer Teil des Stromes wird
überhaupt an der Strombörse gehandelt. Ausgerechnet da wünschen
Sie sich die Erneuerbaren Energien hin?
An der Strombörse, an der mit Grenzkosten geboten wird, die bei Photovoltaik-
und Windkraftanlagen Null betragen? Glauben Sie, so kann ein Strommarkt
funktionieren?
Herr Laschet, Herr Lindner, Herr Pinkwart, wir laden Sie gerne ein, um
uns von Ihren Vorstellungen überzeugen zu lassen.
Viel lieber arbeiten wir gemeinsam mit Ihnen an der Gestaltung eines Strommarktes
für ein der Energiewende angemessenes, auf erneuerbaren Energien basierendes
Energiesystems, bei dem auch noch eine Zeit lang Strom aus Kohle seine Rolle
spielen kann.
Aber nicht daran, wie von Ihnen geplant, die Erneuerbaren Energien in ein
für deren spezifische Rahmenbedingungen unangemessenes Strommarktdesign
der alten Technologien zu zwängen.
3. "Durch die allgemeine Marktentwicklung hin zu dezentralen und klimafreundlichen Energielosungen verliert die EEG- Förderung (aktuell ca. 25 Milliarden Euro Subventionen pro Jahr) ihre Bedeutung."(S. 40)
Sie wissen sicher, dass die "EEG-Umlage" nichts mit der Subventionshöhe zu tun hat, oder?